Joseph-Höffner-Gesellschaft

13. Joseph-Höffner-Vorlesung

 

Ernstfall christlicher Glaubenspraxis

Kardinal Rainer Maria Woelki sprach in der Joseph-Höffner-Vorlesung über „Sterbehilfe“

 

 

von Bernhard Raspels (Kirchenzeitung für das Erzbistum Köln 20/2015, S. 16)
 
In der Diskussion um die aktive Sterbehilfe erfahren die Begriffe „Lebensqualität“ und„Selbstbestimmung“ eine Pervertierung. Dies betonte Kardinal Rainer Maria Woelki in der 13. Joseph-Höffner-Vorlesung im überfüllten Bonner Uni-Club vor mehreren hundert Gästen mit seinem Beitrag zur aktuellen Debatte um Sterbehilfe und Sterbebegleitung. In der von der Joseph-Höffner-Gesellschaft und dem Studium Generale der Universität Bonn gemeinsam veranstalteten Vorlesung wandte sich der Kölner Erzbischof nachdrücklich gegen ärztliche Hilfe zum Selbstmord. Zugleich trat er für eine verstärkte Kultur „christlicher Sterbehilfe“ ein: „Niemand sollte vereinsamt sterben! Gerade den Sterbenden schulden wir das tätige und solidarische und nicht zuletzt das betende Zeugnis unserer christlichen Hoffnung“, so Woelki. Mit dem Blick auf den Gesetzgeber, der zur Zeit über das Für und Wider eines Verbots der Beihilfe zur Selbsttötung debattiert, sagte Kardinal Woelki: „Ein Staat, der die Menschenwürde als höchstes Gut betrachtet, sollte daher mehr dafür tun, dass Menschen würdevoll auf ihrem letzten Weg begleitet werden, statt ihnen einen vermeintlichen zeitgemäßen Tod gesetzlich zu ermöglichen. Denn: es wird eiskalt in einer Gesellschaft, die es zulässt, dass sich Menschen getrieben von Krankheit oder Aussichtslosigkeit töten lassen wollen, oder um Hilfe bei der Selbsttötung bitten. So stirbt man nicht selbstbestimmt, sondern bestimmt von Schmerz, Einsamkeit und Verzweiflung. Gerade weil die Angst der Menschen vor Schmerzen und dem Tod ernst genommen wird, entsteht daraus die Verpflichtung, Menschen in dieser Lebensphase besonders zu unterstützen, durch palliativmedizinische Versorgung, intensive Begleitung und seelsorgliche Angebote.“

Zurzeit gibt es allein in katholischer Trägerschaft bundesweit 58 stationäre Hospize mit 482 Betten. Daneben bestehe, so Woelki, flächendeckend das Angebot an Palliativ-Pflegediensten mit 123 Einrichtungen bundesweit. 20 weitere Einrichtungen böten eine spezialisierte ambulante Palliativversorgung an. Mit diesem Hinweis verband der Kölner Erzbischof seine Definition vom Sterben in Würde: „Sterben in Würde bedeutet nicht, den Zeitpunkt des Todes selbst zu bestimmen, sondern die Art und Weise des Sterbens würdevoll zu gestalten.“ „Würde“, wie sie auch der Artikel 1 des Grundgesetzes verstehe, hieße, dass das menschliche Leben immer und uneingeschränkt Schutz genießt. Über keinen Menschen dürfe man sagen, „es ist nicht gut, dass du lebst“. Woelki weiter: „Wenn ein Mensch das in höchster Not von sich selber sagt, dann hat er in einer humanen Gesellschaft den Anspruch, dass er Mitmenschen begegnet, die ihm widersprechen und ihm sagen: Es ist gut, dass es dich gibt. Das ist die Grundlage unserer Werteordnung. Der Todeswunsch eines Menschen ist für uns Christen der Ernstfall in der Praxis und wir müssen einem solchen Menschen spürbar machen, dass wir ihn mehr lieben als er sich gerade selbst.“ Viele würden dem gerade in den Hospizen in vorbildlicher Weise nachkommen. Für den Kölner Erzbischof ist die Diskussion um die „Sterbehilfe“ auch ein „Testfall“ für eine Kultur christlichen Sterbens. Die Sorge um einen „guten Tod“ sei Teil des christlichen Wissens, dass das Leben auf Erden nicht alles sei. Daraus erschließe sich ein Auftrag an den Christen: „Die dahinterstehende Einsicht ist, dass der Mensch sich auf seinen Tod vorbereiten ... sollte. Demgegenüber sind Sterben und Tod in der heutigen Zeit teilweise recht stillos geworden und aus dem Zuhause verbannt ... Zwar sterben wir heute inmitten einer medizinischen Versorgungswelt, aber oft ohne menschliche Nähe und geistliche Begleitung. Einerseits ist der Tod in den Medien permanent präsent und gleichzeitig ist er öffentlich tabuisiert, wenn es um das individuelle Sterben geht.“

Auch in der Diskussion mit dem Publikum, die von der Bonner Moraltheologin Dr. Katharina
Westerhorstmann geleitet wurde, kam Kardinal Woelki noch einmal auf die Begriffe Selbstbestimmung, Lebensqualität und ärztliches Ethos zu sprechen. Man müsse fragen, ob die Kategorie der „Selbstbestimmung“ im Kontext des Sterbens angemessen verwendet wird. Ebenso im Bezug auf die Kategorie der „Lebensqualität“: „Haben diejenigen, die sich in ihrer hilflosen Lage den Tod wünschen, nicht längst das Werturteil der sie umgebenden Gesellschaft verinnerlicht, wonach ihrem Leben keine Qualität und demnach kein Wert mehr zukommt?“, fragte Woelki, um eine Antwort zu geben: „Am Ende des Lebens zählt, dass man nicht allein ist, das man sich seiner Hilflosigkeit nicht schämen muss, dass der Schmerz erträglich gemacht wird, dass niemand – auch man selbst – einem das Gefühl gibt, eine Last zu sein ... Für religiöse ... Menschen zählt darüber hinaus, dass sie Seelsorge als geistlichen Trost erfahren und sich getragen fühlen ... vom Glauben daran, dass man nicht tiefer fallen kann als in die Hände Gottes. Mit Selbstbestimmung als Selbstverwirklichung und Selbstbehauptung hat diese Phase des Lebens wenig zu tun.“ Zudem pervertiere der in der Diskussion stehende Vorschlag, der Ärzteschaft die Suizid-Beihilfe explizit zu erlauben, das ärztliche Ethos, weil der, der Leben erhalten solle, es preisgebe.

Zusammenfassend schloss sich Kardinal Woelki der Position des Philosophen Robert Spaemann an: „Es kann schließlich nicht Befreiung sein, wenn das Subjekt möglicher Freiheit vernichtet wird. Der gute Gebrauch der grundsätzlichen Fähigkeit zum Suizid ist nämlich ihr Nicht-Gebrauch.“ Mit Blick auf Kirche und Theologie forderten einige ein starkes Engagement der katholischen Kirche in der Hospizbewegung und in der theologischen Beschäftigung mit der Erlösungsbotschaft Christi. „Es gibt nichts, was mehr trösten könnte, als die Symbolik des Kreuzes“, hob Prälat Professor Dr. Lothar Roos, Vorsitzender der Joseph-Höffner-Gesellschaft, hervor. Damit komme die Kirche nicht nur ihrer gesellschaftlichen Pflicht nach, ihre Stimme zur Diskussion um die Sterbehilfe zu erheben, sondern auch ihrem theologischen Auftrag.

 

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